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Was ist Glück?

Die Suche nach dem Glück beschäftigt viele. Wir machen große Anstrengungen, um das große Glück zu finden und viele Menschen beschäftigen sich damit herauszufinden, was Glück ist und wie man ein glückliches Leben führen kann. Der Markt füllt sich mit Glücksschulen und Glücklichmachern. Natürlich wünsche auch ich mir Glück – für mich, für meine Liebsten und für meine Klient:innen –  und mache mir deswegen Gedanken dazu, die ich gerne hier teilen möchte.

Auf der Suche nach dem Glück 

Die Definition von Glück ist, dass wesentliche Bedürfnisse befriedigt sind. Letztens bin ich bei Recherchen zum Thema mal wieder auf die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow gestoßen. Ich war noch nie ein großer Fan dieser Theorie, aber diesmal habe ich mich hingesetzt und mir ein paar Gedanken dazu gemacht: was stört mich eigentlich so an dieser Kategorisierung von Bedürfnissen? 

Zunächst ist es einfach und banal die Tatsache, dass es eine Pyramide ist. Eine Pyramide ist hierarchisch: es gibt oben und unten. Die Maslowsche Bedürfnispyramide sagt aus, dass von unten nach oben Bedürfnisse zumindest zum Großteil erfüllt sein müssen, bevor ein anderes Bedürfnis eine Rolle spielt. Das allein halte ich persönlich schon für das Ergebnis hierarchisch-patriarchaler Vorstellungen. In meinem Weltbild – und ich hoffe auch im Weltbild vieler anderer – gibt es kein oben und unten, kein wichtiger oder unwichtiger! Trotzdem komme auch ich immer wieder mit meinen Hierarchie-Konditionierungen in Kontakt – und das nicht zu wenig. Wie sehr wir zutiefst unbewusst auf hierarchische Konzepte konditioniert sind, ist erstaunlich. In der Regel stellen wir uns immer gleich ein oben und unten vor und nicht wenige von uns sind fest davon überzeugt, dass es ohne Führung, ohne „Oben“ drunter und drüber gehen würde.

Was ist die Alternative

Ich bin fest vom Konzept „Augenhöhe“ überzeugt. Egal in welchem Verhältnis: zwischen Menschen, zwischen Menschen und Tieren, zwischen Natur und Mensch usw. Daher denke ich auch bei Bedürfnissen auf einer Ebene, an gleichwichtige Bedürfnisse. Maslow sagt, die sog. Grundbedürfnisse sind die Basis: Essen, Trinken, Sicherheit müssen erfüllt sein, bevor soziale Bedürfnisse wie Gemeinschaft und Zugehörigkeit wichtig werden. Das wage ich zu bezweifeln. In Deutschland nehmen sich fast 10.000 Menschen jährlich das Leben, manche weil ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind, die meisten aber aus anderen Gründen und dabei sind soziale Komponenten wie Umfeld, Integration und Gemeinschaft sehr bedeutend.Daher denke ich in Schnittflächen, flach, in Feldern oder Kreisen, in Bedürfniskreisen 😊.

Was sind Bedürfniskreise

Es sind Bereiche, die wir brauchen, um glücklich zu sein. Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander. Und sie bilden Schnittflächen. Je größer die Schnittfläche, desto glücklicher sind wir. Das ist meine Theorie.

Aber was brauchen Menschen, um glücklich zu sein?

Ich coache jetzt seit vielen Jahren. Menschen kommen zu mir, weil sie unglücklich sind. Meine Beobachtungen, nach was Menschen sich wirklich sehnen, verdichtet sich mit den Jahren immer mehr. Nach dieser Beobachtung kann man die Grundbedürfnisse von Menschen in drei Bereiche unterteilen:

Physiologische Bedürfnisse

Natürlich braucht der Mensch Nahrung, Wasser, Kleidung, ein zu Hause. In unserer Gesellschaft sicherlich noch einiges anderes wie medizinische Versorgung etc. Das ist ein wichtiger Teil, der abgedeckt sein muss, damit sich Menschen entspannt und sicher fühlen und glücklich sein können. Hat mein Leben Sinn und ich bin einer Gemeinschaft angehörig, fühlt sich Hunger, Armut und Unsicherheit vielleicht weniger schlimm an, ist aber trotzdem ein wichtiges Grundbedürfnis.

Wie eine Studie des Psychologen Andrew Jebb von der Purdue University 2018 ergab, lag das ideale jährliche Haushaltseinkommen für das emotionale, tägliche Wohlbefinden in den USA zwischen 60.000 und 75.000 US-Dollar (derzeit 50.000 bis 60.000 Euro). Das entspricht grob dem, was der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und der Ökonom Angus Deaton von der Princeton University festgestellt hatten. Sie kamen 2010 auf einen Wert von 75.000 US-Dollar, ab dem das Wohlbefinden nicht weiter steige. Die Forscher sahen den „abnehmenden Grenznutzen“ als Ursache: Ab jener Schwelle sei es Menschen wahrscheinlich nicht mehr möglich, das zu tun, was für das emotionale Wohlbefinden am meisten zähle, wie etwa Zeit mit der Familie zu verbringen.

Das bedeutet, Menschen sind dann am glücklichsten, wenn sie so viel Einkommen haben, dass sie wohnen und essen können, ein sicheres Dach über dem Kopf haben und ihre Kinder zur Schule schicken können und noch eine kleine Sicherheitsreserve haben. Haben Sie mehr oder weniger Geld, werden sie wieder unglücklicher. Diese Studie bedeutet übertragen auf andere Gesellschaften und Kulturen vielleicht eine andere Höhe des Einkommens oder aber eine gute Ernte oder ausreichend Fischbestände. Aber sie zeigt, dass die Abdeckung von physiologischen Grundbedürfnissen glücklich macht und was man darüber hinaus besitzt, führt eher wieder zu Unglück. Doch das allein reicht meiner Meinung nach nicht.

Sinn 

Die meisten Menschen kommen zu mir und unglücklich sind, haben ihre körperlichen Grundbedürfnisse gedeckt. Sie kommen, weil sie einen Sinn für ihr Leben suchen, eine sinnvolle Beschäftigung, einen Bereich, in dem sie sich wirksam fühlen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es Menschen sehr glücklich macht, etwas Sinnvolles zu machen. Was das für die einzelne Person auch immer sein mag. Menschen können einen tieferen Sinn in Spiritualität oder Religion finden, in ihrem Beruf oder bei Menschen und in der Familie, in Ehrenamt oder Engagement. Ich glaube, eines der schrecklichsten Gefühle ist das der Sinnlosigkeit: nichts beizutragen zu Etwas, das einem persönlich bedeutungsvoll erscheint, nicht gebraucht zu werden oder nicht Teil von Etwas zu sein. Menschen, die einen Sinn in dem sehen, was sie tun, sind zu unglaublichen Leistungen und Durchhaltevermögen fähig. Sinn ist inspirierend und macht uns glücklich. Und damit kommen wir zum nächsten wichtigen Bedürfnisfeld.

Zugehörigkeit / Gemeinschaft

Der Mensch ist ein Herdentier. Niemals im Laufe der Evolution hat der Mensch allein gelebt. Erst durch das Patriarchat kam es zunehmend zur Vereinzelung und in unserer heutigen Gesellschaft suchen wir als Konsequenz der Vereinzelung unser Glück im Individualismus. Ich glaube kein Grundbedürfnis ist so unterschätzt und verkannt wie das nach Zugehörigkeit, nach keinem haben wir so sehr Sehnsucht, und keines ist für uns so schwer zu erreichen und auszuhalten wie Gemeinschaft. Viele Studien zeigen den positiven Einfluss auf die menschliche Psyche durch stabile Beziehungen. Bei den meisten psychischen Erkrankungen ist soziale Isolation eine Folge, aber auch ein Risikofaktor. Bei jeder Form von Therapie oder Coaching ist eine Beziehung und Vertrauen die Grundlage, auf der alles basiert und jede Methode funktioniert. Die Zeiten der Lock-Downs haben uns drastisch vor Augen geführt, welche schreckliche Auswirkungen Abgeschiedenheit für Menschen hat. Vor allem bei Jugendlichen sind die Psychischen Störungen und die Suizidversuche um ein Vielfaches gestiegen. 

Meiner Überzeugung nach ist Gemeinschaft heilend. Und: Wir haben es fast verlernt! Wir verlernen Gemeinschaft systematisch. Wir werden zu Individualismus statt zu Gemeinschaft erzogen. Jemanden zu brauchen interpretieren wir als Schwäche. Wir wollen allein zurechtkommen und erwarten das auch von unseren Kindern und nehmen damit uns und anderen die Chance auf die Erfüllung eines wichtigen Grundbedürfnisses. Gemeinsam mit anderen zu leben und sich zugehörig zu fühlen, müssen viele Menschen neu und mühevoll lernen, um glücklich zu sein.

Ist es wirklich so einfach, glücklich zu sein?

Ich denke, dass der Mensch ein sehr komplexes Wesen und trotzdem in seinen Grundbedürfnissen eigentlich ganz einfach gestrickt ist. Und dass sie wirkliche Erfüllung (keine Ersatzbefriedigungen) dieser drei Bedürfnisse glücklich macht. Und gleichzeitig ist es gar nicht einfach, sich diese Bedürfnisse mit unserer Sozialisierung und in unserer patriarchalen-hierarchischen Welt zu erfüllen. Aber mir gibt dieses Modell Ausrichtung und Hoffnung, es fühlt sich für mich stimmig an und unterstützt mich in meiner Arbeit. Vielleicht auch dich?

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