Bühnenlicht und blinde Flecken
Neulich war ich auf dem Greator Festival in Köln – einem riesigen Event für persönliche Weiterentwicklung. Ich wollte mal sehen, wie andere auf der Bühne stehen, welche Themen sie mitbringen, wie sie wirken. Ich wollte mich inspirieren lassen – beruflich, menschlich, vielleicht auch strategisch. Und ja, ich hatte Spaß. Ich kam mit vielen Impulsen zurück. Und mit einem ganz bestimmten Gefühl: Ich will mehr auf die Bühne! Ich will sprechen, wirken, berühren. Vor vielen. Denn ich habe etwas zu sagen.
Aber eine Erfahrung auf diesem Festival hat mich auch ziemlich irritiert. So sehr, dass ich sie hier mit dir teilen möchte.
Ich saß in einem Vortrag eines Mannes, der sich darauf spezialisiert hat, selbstständige Coachinnen in hohe Umsatzbereiche zu begleiten – also ganz explizit Frauen. Das klang zunächst vielversprechend. Schließlich ist es auch meine Mission, dass Frauen ihren Wert erkennen und nicht länger klein spielen, vor allem nicht wirtschaftlich.
Aber was dann kam, ließ mir die Kinnlade runterklappen: Immer wieder sprach dieser Mann davon, dass er „Frauen zu Gewinnern machen“ will. Dann rief er ins Publikum: „Wer von euch will ein Gewinner sein?“ Und viele Frauen riefen zurück: „Ich will ein Gewinner sein!“ Ehrlich? Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Für mich ist klar: Ich will kein Gewinner sein. Ich will eine Gewinnerin sein.
Wie kann ein Mann, der mit Frauen arbeitet – und nicht mit irgendwelchen Frauen, sondern mit reflektierten, klugen, selbstständigen Frauen – sie in der männlichen Form ansprechen? Wie kann jemand, der sie empowern will, sprachlich so entmächtigen. Ich weiß, was jetzt kommt: Ist doch nur Sprache. Ist halt Gewohnheit. Meint doch alle mit. Aber genau da liegt das Problem. Genau da beginnt die Unsichtbarkeit von Frauen.
Sprache schafft Realität
Wenn ich von „Gewinnern“ spreche, dann sehe ich Männer. Punkt. Unsere Sprache formt unser Denken, unsere Bilder, unsere Wahrnehmung. Wenn Frauen in der Sprache nicht vorkommen – oder nur als mitgemeint gelten – dann fehlen sie auch im Bewusstsein. Und das hat Konsequenzen. Denn diese Unsichtbarkeit ist kein Zufall. Sie ist Teil eines Systems, das auf weibliche Selbstverständlichkeit baut: Frauen erziehen Kinder, pflegen Angehörige, organisieren das soziale Leben, halten Freundeskreise zusammen, engagieren sich ehrenamtlich, putzen, kümmern sich – leise, nebenbei, unbezahlt. Und oft ohne Anerkennung.
Was wäre, wenn all diese unsichtbaren, unbezahlten, unermüdlichen Beiträge plötzlich wegfielen? Ganz einfach: Unsere Gesellschaft würde zusammenbrechen. Denn jeder Lohn, jeder Profit, jede sogenannte „produktive Leistung“ ruht auf dem unbezahlten, übersehenen, selbstverständlichen Einsatz von Frauen. Und das ist eine Tatsache, keine Übertreibung.
Wir müssen uns selbst sichtbar machen.
Es reicht nicht, gesehen werden zu wollen. Wir müssen uns zeigen. Klar. Unmissverständlich. Auch sprachlich. Auch im Kleinen. Denn Sichtbarkeit beginnt nicht auf der Bühne – sie beginnt im Alltag. In deinen Worten. In deinem Selbstbild. In deiner Haltung. Was kannst du konkret tun? Achte auf deine Sprache – besonders, wenn du von dir selbst sprichst. Sag „Gewinnerin“, nicht „Gewinner“. Sag „Teilnehmerin“, nicht „Teilnehmer“. Sag „Coachin“, nicht „Coach“. Es mag sich am Anfang sperrig anfühlen – aber genau das ist der Moment, in dem Veränderung beginnt.
Mehr Sichtbarkeit – auch für mich?
Nimm deine Leistungen ernst
Ich erlebe es so oft im Coaching: Frauen, die unfassbar viel leisten – beruflich, familiär, emotional – und trotzdem denken, das sei doch normal. Ist es nicht. Es ist bemerkenswert. Du bist bemerkenswert. Werde dir bewusst, was du täglich trägst, stemmst, möglich machst. Schreib es auf. Sprich es aus. Und feiere es.
Sprich über deine Erfolge
Warte nicht, bis jemand anderes sieht, wie viel du gibst. Sprich darüber. In Meetings, im Familienkreis, mit Kolleg:innen, mit deiner Führungskraft. Nicht, um anzugeben – sondern um sichtbar zu machen, was sonst übersehen wird. Es ist keine Eitelkeit, über deine Erfolge zu sprechen. Es ist politische Selbstachtung. Ich weiß: Sich sichtbar zu machen braucht Mut. Besonders als Frau. Besonders in einer Welt, die lange daran gewöhnt war, dass wir still, brav und funktional sind. Aber genau deshalb ist es so wichtig. Denn wenn wir uns nicht zeigen – wer soll es dann tun?
Sichtbarkeit ist kein Ego-Trip. Sichtbarkeit ist Selbstermächtigung.
Also lass dich nicht länger „mitmeinen“. Sag, wer du bist. Sag, was du willst. Sag, was du tust. Und nutze deine Worte, um dich selbst in dein Leben hineinzuschreiben – als Frau, als Wirkerin, als Mensch.
Ich freue mich, wenn du diesen Text teilst, darüber sprichst oder mir schreibst, was dich daran berührt hat. Denn Sichtbarkeit beginnt im Dialog. Und Veränderung beginnt bei uns.